Kontext

Über ganz Europa verteilt gibt es Tausende ehemaliger NS-Lagerorte. Einige von ihnen werden als Orte der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus besonders hervorgehoben: Dort befinden sich Gedenk- und Informationsstätten, es wurden Gedenk- und Grabsteine errichtet, und mancherorts sind bauliche Fragmente der Lager erhalten. Andere ehemalige Lagerorte sind nicht Teil öffentlicher Erinnerungskultur geworden. Sie dienen inzwischen anderen Zwecken oder erscheinen "vergessen".

 

Architektonische Überreste lassen sich auch dort häufig dennoch finden. Dazu können Teile von Umzäunungen, Stacheldraht, Gleisanbindungen, Bahnanlagen, Reste von Baracken und Fundamenten, manchmal auch noch nahezu intakte Gebäude gehören. Solche baulichen Fragmente wurden von Fotografen und Redakteuren seit der Nachkriegszeit vielfach zur Visualisierung genutzt, um diesen Orten nationalsozialistischen Terrors eine bestimmte fotografische Entsprechung zu geben. Daraus ist ein spezifischer, wiederkehrender visueller Code des öffentlichen Erinnerns entstanden. Sei es bei Fotografien von öffentlichen Orten des Gedenkens, sei es bei Aufnahmen von nicht als solche ausgewiesenen ehemaligen Lagerorten: Es sind die gewohnten, die erwarteten Bilder, die der Betrachter wahrnimmt.


Die Serie "Grasnarben" beschäftigt sich mit den Fragen: Was bleibt visuell bestehen, wenn sich Fotografien dieser tradierten Ikonographie entziehen? Welche Inhalte können Fotografien befördern, wenn der historische Kontext des Abgebildeten kaum oder gar nicht mehr entschlüsselbar scheint?
Werden diese unerwarteten Bilder mit der Bedeutung der im Bildgedächtnis verankerten Aufnahmen aufgeladen? Oder werden neue Assoziationen zu den schrecklichen Geschehnissen in den Lagern angestoßen?